AGRANA -VÖR. Presseinformation zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Reform der Zuckermarktordnung und der geplanten Handelsliberalisierung mit den Least Developed Countries (LCD's)
Datum: 24.10.2000Die österreichische Zuckerwirtschaft fordert Kontinuität
1. Laufzeit Zuckermarktordnung
Der nur in französischer Sprache an die Öffentlichkeit gelangte Vorschlag zur Reform der Zuckermarktordnung seitens der Generaldirektion Landwirtschaft der Europäischen Kommission war mit einer vorgesehenen Laufzeit bis zum Jahr 2005/06 auf die fünfjährige Agenda 2000-Beschlußlage von Berlin abgestimmt. Der Kommissionsvorschlag sieht hingegen jedoch nur noch eine zweijährige Laufzeit bis 30. Juni 2003 vor. Anschließend soll die Zuckermarktordnung einer umfassenden Reform unterzogen werden.
Aufgrund der EU-Haushaltsneutralitität blieb die Zuckermarktordnung konsequeneterweise von den Agenda-Beschlüssen ausgeklammert. Die Zuckermarktordnung ist nämlich nicht nur selbstfinanzierend, sie hat auch die WTO-Auflagen hinsichtlich Stützungs- und Exportreduktion erfüllt.
Die Zuckermarktordnung paßt sich mit ihren flexiblen Quotenrahmen automatisch an die Weltmarktgegebenheiten an. Die EU-Zuckerwirtschaft hat mit einer 7-prozentigen Reduktion der Anbauflächen im Jahr 2000 bereits im vorhinein auf die weltmarkt-preisbedingt absehbare Quotenanpassung von 500.000 Tonnen mit 1. Juli 2000 reagiert.
Die Verdoppelung der Zuckerweltmarktpreise innerhalb eines Jahres zeigte sehr deutlich, daß in einer nachhaltigen Landwirtschaft, der die europäische Zuckerwirtschaft verpflichtet ist, der Weltmarkt ein schlechter Ratgeber ist. Eine nur zweijährige Verlängerung ist indiskutabel, weil sie nicht nur unbegründet ist, sondern dem Rübenanbau nicht die nötige mittelfristige ökonomische Planungsperspektive bietet.
Ein Auslaufen der Zuckermarktordnung mit 30.6.2003 bedeutet bereits im Herbst 2002 bei der Fruchtfolgeplanung und bei der Budgetierung des Anbaujahres 2003 völlige Unsicherheit. Anders ist das bei den von der Agenda 2000 erfaßten Marktordnungen, diese laufen bis 2005/06.
Die Europäische Kommission möchte bis Mitte 2002 als Basis für eine neuerliche Reform der Zuckermarktordnung ab 2003 Studien
- über den Konzentrationsgrad der europäischen Nahrungsmittelindustrie sowie
- über die Länderquoten bzw. die Auswirkungen eines Quotentransfers
anfertigen lassen.
Das Preisniveau von Zucker in Österreich entspricht jenem von 1982. Gerade der jahrelange Preisdruck – ausgeübt über sinkende Bruttointerventionspreise - hat zum heutigen Konzentrationsgrad der Zuckerindustrie geführt. Dies nun als Kritikpunkt anzuführen, ist ein unerhörter Zynismus.
Ein Quotentransfer führt zu ökologisch nicht wünschenswerter Konzentration des Rübenanbaus in Gunstlagen Europas und damit zwangsläufig zur weiteren Konzentration der Verarbeitungsindustrie.
Gerade die Zuckermarktordnung mit ihrem Quotensystem ist Garant einer europaweiten Rübenproduktion und demzufolge auch der europaweit gestreuten 150 Zuckerfabriken.
Die österreichische Zuckerwirtschaft fordert daher, daß - ebenso wie die letzte sechs-jährige Verlängerung der Zuckermarktordnung (1995) deckungsgleich mit dem GATT-Uruguay-Verhandlungs-Umsetzungszeitraum war – nunmehr die Zuckermarktordnung entsprechend der Agenda 2000-Laufzeit verlängert wird.
2. Lagerkostenausgleichssystem
Ein weiterer Reformvorschlag sieht die Abschaffung des von der Zuckerindustrie selbst finanzierten Lagerkostenausgleichssystems vor. Das Argument der Kommission, damit den EU-Haushalt um 300 Millionen € zu entlasten, ist nicht richtig, da diese 300 Millionen € nicht nur ausgaben-, sondern auch einnahmenseitig wegfallen!
Es handelt sich um einen reinen Durchlauferposten! Um solcherart Budgetkosmetik willen opfert man ein bewährtes System, das über Jahrzehnte der EU jegliche Interventionskäufe erspart hat und ein wesentliches Instrument zur budgetneutralen Verwaltung der Zuckermarktordnung ist. Eine Abkehr vom bewährten System des Lagerkostenausgleichs führt dahin, daß dem EU-Budget erhebliche Interventionskosten erwachsen könnten.
Die österreichische Zuckerwirtschaft fordert daher im Sinne des EU-Haushaltes die Beibehaltung dieses selbstfinanzierenden Lagerkostenausgleichssystems, das der markt- und preisstabilisierenden Bedienung des Marktes mit einem in nur drei Monaten eines Jahres gewonnenen Produkt über das ganze Jahr hin dient.
3. Least developed countries (LDC)
Vorbei an der Agrarpolitik unter dem zugkräftigen Slogan „Alles – nur keine Waffen“ will EU-Kommissar Pascal Lamy 48 unterentwickelten Ländern mit allen ihren Produkten – ausgenommen Waffen - zollfreien Zugang zur EU gewähren. Ein völlig unkoordinierter und undurchdachter Vorschlag – jedenfalls aus Sicht der Zuckerwirtschaft. Dort ist der Großteil dieser Länder nämlich ohnedies bereits Nutznießer des AKP-Zuckerabkommens, das afrikanischen, karibischen und pazifischen Ländern aus dem Bereich ehemaliger britischer, französischer und niederländischer Kolonien 1,6 Mio Tonnen Zuckerimporte in die EU zu Lasten des europäischen Rübenanbaues und der europäischen Zuckerindustrie zusichert. Mit 10 % der EU-Produktion eine großzügige und wirklich wirksame Entwicklungshilfe für diese Länder, da diese Zuckermenge zum garantierten EU-Interventionspreis aufgekauft wird.
Der Vorschlag von Kommissar Lamy berücksichtigt auch nicht, daß einige dieser armen Länder bilaterale Zollfreiabkommen mit den größten Zuckerproduzenten der Welt haben – z.B. mit Thailand und mit Indien.
Lose gehandhabte und kaum überprüfbare Ursprungsregelungen lassen befürchten, daß Zucker dieser größten Zuckerexportländer mit dem Etikett dieser ärmsten Länder zu Weltmarktpreisen zollfrei und ohne Mengenbegrenzung in die EU kommen kann.
Eine Ursprungskontrolle in 48 LDC-Ländern ist schwer bzw. nicht möglich, wo doch eine solche bereits bei den ULG’s (Überseeische Länder und Gebiete) wie Aruba und Curacao nur äußerst mühsam in den Griff zu bekommen war! Eine weitere Herausforderung für die EU-Betrugsbekämpfungsabteilung OLAF !
Man läuft größte Gefahr, ein trojanisches Pferd in die EU-Zollregeln einzuschleusen, dem - einmal in die EU eingedrungen - Millionen Tonnen und vor allem indirektes Zuckerimportpotential entsteigen. Die Folge ist eine im Verhältnis 1:1 zu reduzierende EU-Rübenzuckerproduktion, der zahlreiche Fabriken und tausende landwirtschaftliche Betriebe zum Opfer fallen.
Das wäre das Ende eines breit gestreuten Zuckerrübenanbaus in Europa mit höchst negativen Auswirkungen auf den ländlichen Raum.
Wir appellieren daher an die Kommission, auf die Erfahrungen der Vergangenheit zu bauen und auf das bewährte Instrument der Zuckermarktordnung und des AKP-Abkommens zu setzen.